Biodiversität ist Leben, keine Kapitalanlage

21. August 2024

Im Namen der »Erhaltung« und des »Schutzes« der biologischen Vielfalt fordern Unternehmen und Konzerne zunehmend die Einführung neuer Finanzialisierungsmöglichkeiten von natürlichen Ressourcen und Ökosystemen. Zu den neuen Mechanismen, welche die Natur schlichtweg in eine Kapitalanlage verwandeln, gehören auch »Biodiversitätskredite« und »Nature Asset Companies« (NACs). Sie stellen den jüngsten Versuch dar, einen alten, kolonialen Bioimperialismus unter dem Deckmantel des Naturschutzes auszuweiten. Die neuen Systeme der Finanzialisierung zielen, genau wie ihre Vorgänger, auf die Kommerzialisierung ganzer Ökosysteme und aller ökologischen Funktionen der Natur ab. Besonders im Fokus stehen dabei Gebiete mit großer biologischer Vielfalt, die oft das angestammte Land indigener Völker oder kleinbäuerlicher Gemeinschaften sind.

Die Umwandlung der Natur in eine Kapitalanlage führt das schädliche Erbe des Bioimperialismus fort: Die Finanzialisierung der Natur ist keine Lösung, sondern die Fortsetzung einer andauernden, historischen Kommerzialisierung und Aneignung natürlicher Ressourcen, die Teil eines umfassenderen Paradigmas von systematischer Ausbeutung und extraktiver Wirtschaft sind. Der Status quo und die sozio-ökologisch-politischen Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten in der Welt werden dadurch weder durchbrochen noch in Frage gestellt.

Der neu erschienene Bericht von Navdanya International befasst sich eingehend mit Biodiversitätskrediten, deren Funktionsweise und der Entlarvung »falscher Mythen«, die sich rund um diese gebildet haben. Besonders konzentriert sich der Bericht auf die neuen Rahmenbedingungen der entstehenden Kapitalmärkte für die Biodiversitätskredite, vor allem durch die multinationalen Akteure, welche sich mit der Regelung und Einführung dieses neuen Instruments beschäftigen. Biodiversitätskredite stellen ein neues System zur Finanzierung von Maßnahmen dar, die durch die Schaffung, den Verkauf und den Austausch von Biodiversitäts-»Einheiten« die Biodiversität positiv beeinflussen sollen.

Der vorliegende Bericht entlarvt fünf falsche Mythen über Biodiversitätskredite und die Scheinlösungen, die für unsere immer dringender werdenden Umweltprobleme angeboten werden.

Mythos Nr.1 »Biodiversitätskredite werden die biologische Vielfalt schützen.«

Biodiversitätskredite sind, wie alle Maßnahmen von Finanzialisierung, in allererster Linie auf die Erzielung von Gewinnen und die Erschaffung eines wettbewerbsfähigen Marktes ausgerichtet. Sie sind nicht in der Lage, sinnvolle oder ganzheitliche Maßnahmen zu ergreifen, um den Status quo zu durchbrechen, der für den Verlust der biologischen Vielfalt in der Welt verantwortlich ist und können aufgrund ihrer Natur die biologische Vielfalt nicht schützen.

Mythos Nr. 2 »Biodiversitätskredite sind keine Offsets.«

Der Mechanismus hinter Biodiversitätskrediten und Offsets ist identisch. Der einzige Unterschied liegt in der Verwendung und dem Namen. Genau wie bei Offsets dienen Biodiversitätskredite als »Wiedergutmachung« für die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Das Green Finance Observatory weist darauf hin, dass es »keine glaubwürdige Verwendung für Biodiversitätskredite außerhalb von Offsets gibt«.

Mythos Nr. 3 »Marktmechanismen bringen bessere Ergebnisse als traditionelle Regulierung.«

Die in der Vergangenheit eingesetzten Marktmechanismen haben die biologische Vielfalt nicht nachhaltig geschützt – im Gegenteil. Heute befinden sich 80 % der weltweiten biologischen Vielfalt auf den 22 % Land, das von indigenen Völkern verwaltet wird. In Bezug auf den Schutz von Biodiversität, Lebensräumen und Klimaresilienz hat ihre Ökonomie der Fürsorge die Ökonomie der Gier und Märkte, die Abholzung, Monokulturen und den Verlust der biologischen Vielfalt fördert, weit übertroffen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Marktmechanismen oder Finanzialisierung ohne einen totalen Paradigmenwechsel imstande sind, tatsächlich die beworbene Schutz- oder gar Regenerierungsfunktion zu übernehmen. Hingegen besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass die neuen Finanzialisierungsmechanismen ohne eine gesicherte Regelung zur Zerstörung der Artenvielfalt beitragen werden.

Mythos Nr. 4 »Biodiversitätskredite generieren zusätzliches Einkommen für die lokale Bevölkerung.«

Anstatt den Lebensunterhalt zu sichern oder zu verbessern, führen diese Programme in Wirklichkeit zu mehr Landraub, mehr Menschenrechtsverletzungen und einem zunehmend instabilen Einkommen für Landwirte.

Mythos Nr. 5 »Nur die Finanzialisierung wird die biologische Vielfalt retten.«

Die vom Privatsektor beziehungsweise den Finanzmärkten oft verwendete Argumentation basiert auf der Annahme, dass nachhaltige oder renditenfähige Aktionen nur innerhalb eines Kapitalmarkts erzielt werden können. Es handelt sich hierbei um ein koloniales Narrativ – denn aus der Perspektive der nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion, die Ressourcen schützt und die Natur regeneriert, gibt es wesentlich effektivere Systeme als die Finanzialisierung. Die in diesem Sinne überlegenen und effektiveren Systeme bestehen aus den Arbeitsweisen, Vermächtnissen und Traditionen von Kleinbauern, Frauen, indigenen Völkern und verschiedenen Kulturen, die die biologische Vielfalt und das komplexe Netz des Lebens in ihren lokalen Ökosystemen schützen und behüten. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Annahme zu widerlegen, dass der einzig gangbare Weg genau über jene Mechanismen führt, die bereits in der Vergangenheit die Natur geplündert und zur Ware degradiert haben.

Um die aktuelle Krise rund um die biologische Vielfalt wirklich zu bewältigen, müssen wir unsere Beziehung zur Erde und ihren vielfältigen Lebensformen grundlegend verändern. Die Regeneration der biologischen Vielfalt ist nicht nur eine Frage der »Erhaltung«. Es geht darum, unsere eigentliche Verbindung mit der Erde wiederherzustellen, Lebensmittel im Einklang mit der Natur zu produzieren und uns um die Ökosysteme zu kümmern, die das Leben erhalten. Das ist der Weg der Biodemokratie. Um die Biodiversität und unsere Lebensräume tatsächlich zu erhalten und zu regenerieren, müssen wir eine Neuausrichtung der Wirtschaft auf lokale, zirkuläre und regenerative Prozesse im Einklang mit ökologischen Rhythmen und Grenzen anstreben, die die symbiotische Beziehung zwischen unseren Lebensgemeinschaften und unserer Umwelt unterstützen.

Wir brauchen die biologische Vielfalt, um gesunde Ökosysteme aufrechtzuerhalten, und genauso, wie es eine unendliche Anzahl unterschiedlicher Ökosysteme, Landschaften, Lebensarten und Artenzusammensetzungen gibt, brauchen wir auch eine Vielfalt an Möglichkeiten, um diese zu pflegen und zu regenerieren. Es ist daher notwendig, Gemeinschaften und Kulturen zu erhalten, die das Gedeihen der biologischen Vielfalt ermöglichen, indem wir diese anerkennen, unterstützen und mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauern. Traditionsgemäß halten Frauen und Landwirte die Systeme der biologischen Vielfalt am Leben. Indigene Wissenssysteme sind aus einem tiefen und langen Verständnis der ökologischen Prinzipien, der Gesetze der Natur und der ökologischen Nachhaltigkeit entstanden. Über Jahrhunderte hinweg haben diese Prinzipien gesunde Lebenssysteme bewahrt und dadurch das Überleben ganzer Völker gesichert. Die Verteidigung der biologischen Vielfalt ist heute wichtiger denn je, weil sie die Verteidigung unserer Beziehung zum Leben selbst darstellt.

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